Lukas 10,25-42
Guten Morgen! Ich freue mich sehr, dass wir heute wieder alle versammelt sind und den Gottesdienst feiern. Und der HERR freut sich mit. Heute Morgen auf dem Weg zum Gemeindezentrum bin ich am italienischen Essensstand vorbeigegangen. Der heisst «Tschingg». Vor gut einem halben Jahrhundert, als die italienischen Gastarbeiter zu uns gekommen waren, war «Tschingg» ein schlimmes Schimpfwort, mit denen man Italiener bezeichnete. Heute findet sich dieses Wort als Werbung für den Essensstand. So sehr können Namen ihre Konnotation verändern! So wie das Wort «Weiber» für mich: In meinen Jugendjahren war das allgemein ein verächtliches Wort für Frauen. Wenn aber mein Götti meine Schwester und mich «Weiber» nannte, dann tat er das liebevoll. Das war sein Markenzeichen und wir schätzten diese Bezeichnung wie ein Kosewort. Je nach Kontext, wird eine Bezeichnung ganz negativ oder ganz positiv. Viel krasser noch war das mit dem Wort «Samariter». Für die geistlichen Oberen der Juden war das die Bezeichnung für ein verachtetes Mischvolk, mit dem sie im Streit lagen und mit dem sie überhaupt nichts zu tun haben wollten. Pah! Aber für uns heute ist «Samariter» der Inbegriff von Barmherzigkeit und selbstloser Nächstenliebe. Das rührt von einem der berühmtesten Gleichnisse in der ganzen Bibel her. Und wir haben heute die Ehre, dieses zu betrachten: Das Gleichnis des barmherzigen Samariters. – Lesen wir zusammen den Titel meiner Botschaft: «Der die Barmherzigkeit tat.» Und lesen wir zusammen den Leitvers, Vers 37.
Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!
Lukas 10,37
Folgende Begebenheit soll sich wirklich ereignet haben, glaubt man der anonymen Quelle, die sie erzählt: In einer nordeuropäischen Hauptstadt lebte eine Frau, deren Tochter schwer erkrankt war. Das Kind war sehr schwach und wünschte sich ein paar Weintrauben, aber in keinem Geschäft konnte man sie zu der Jahreszeit kaufen. Da erinnerte sich die Mutter daran, dass sie bei einem Spaziergang durch den königlichen Park in den beheizten Gewächshäusern wunderschöne Trauben gesehen hatte. Mutig ging sie zum Hofgärtner und fragte ihn, ob er ihr wohl eine oder zwei Trauben verkaufen könne. Doch auf ihre Bitte hin erhielt sie nur die schroffe Antwort: «Gute Frau, der König ist kein Kaufmann!» – Enttäuscht wandte sich die arme Mutter ab. Sie wollte gerade gehen, als ein Herr, der alles gehört hatte, auf sie zukam und sagte: «Der Gärtner hat recht, mein Vater ist kein Kaufmann. Aber auch wenn er seine Trauben nicht verkauft, kann er doch welche verschenken.» Daraufhin wählte der Prinz einige der besten Trauben aus und legte sie lächelnd in den Korb der erstaunten Frau.
Diese Geschichte steht symbolisch dafür, dass Gott unser Geber ist. Viele Menschen meinen, sie müssten sich den Segen und die Gunst Gottes irgendwie erkaufen oder verdienen. Dafür rackern sie sich ab – ganz wie die damaligen geistlichen Leiter in Israel. Doch der HERR gibt uns seine Gnade ganz umsonst: Er hat seinen Sohn Jesus Christus für uns am Kreuz geopfert! Damit hat er uns von unserer Sünde freigekauft. Wir müssen seine Gnade nur annehmen. Dann schenkt er uns das ewige Leben. Ohne unsere Vorleistungen! Das bedachte der Mann nicht, der nun zu Jesus kam.
Teil 1: So wirst du leben (Verse 25-28)
Lesen wir gemeinsam den Vers 25: «Und siehe, da stand ein Gesetzeslehrer auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?» Sehr wahrscheinlich gehörte dieser Gesetzeslehrer zu den Pharisäern. Je nachdem, welcher Richtung die jüdischen Oberen angehörten, hatten sie je andere Auffassungen über das ewige Leben. Die Pharisäer glaubten, dass dieses einfach eine Art Fortsetzung des Lebens wie auf der Erde wäre, einfach bis in die Ewigkeit. Die Sadduzäer glaubten nicht an die Auferstehung und somit auch nicht, dass die Toten wieder, und dann auch gleich ewig, leben würden. Doch Jesus lehrt uns, was das ewige Leben wirklich ist. Dabei geht es nicht einmal um die Länge des Lebens, sondern um dessen Qualität. Wenn wir an Gott und Jesus, die ewig sind, glauben, wenn wir von Jesu Gnade erfüllt und von den Mächten des Todes frei sind, dann haben wir das ewige Leben. Bereits jetzt. Es ist ein Leben in Fülle, das wahre Leben, das mit dem Tod nicht endet, sondern in Gottes Reich weitergehen wird. Gott, der die Zeit geschaffen hat, wird diese aufheben und wir werden von Ewigkeit zu Ewigkeit ungetrübte Gemeinschaft mit ihm und seinem Sohn haben. Dieser Gesetzeslehrer hatte offenbar Interesse am ewigen Leben. Er sah dieses als erstrebenswert an. Für Jesus ist dieser Wunsch, mehr über das Leben nach dem Tod wissen zu wollen, kostbar. Es mag sein, dass dieser Schriftgelehrte seine Frage aus unlauteren Motiven stellte – schliesslich wollte er sich nicht vor den Menschen um ihn herum blamieren. Da musste er die Frage kritisch oder sogar spöttisch stellen. Wohl in der Art von: «Meister, du predigst einerseits, dass du uns das ewige Leben gratis gibst. Andererseits willst du, dass wir dies und dies tun. Was stimmt jetzt? Du verwirrst uns nur!»
Jesu Gnade bekommen wir tatsächlich umsonst. Wir müssen sie uns in keinerlei Weise verdienen. Aber es gilt, diese Gnade auch zu ergreifen. Und hierzu brauchen wir aktiv zu werden. Nämlich indem wir unseren Glauben mit Leben füllen. Tat dies der Gesetzeslehrer, der zu Jesus kam? Nein, oder noch nicht genügend. Jesus stellte ihm eine Gegenfrage: «Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?» Die Antwort, die er bekam, ist sehr verblüffend. Lesen wir zusammen den Vers 27: «Er antwortete und sprach: ‘Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst’.» Wow! Dieser geistliche Obere hatte etwas verstanden, das die meisten seiner Zeitgenossen nicht verstanden hatten. Es geht bei Gott um die Liebe! Der Mann sagte nicht, das Gesetz sage, man sollte dieses und dieses tun oder nicht tun. Obwohl es schon nur in den Büchern Mose 613 Gebote und Verbote gibt, von denen die meisten um Tun und Lassen gehen. Dass wir Gott ganzheitlich lieben sollen, steht in 5. Mose 6,5. Das Gebot, den Nächsten so zu lieben wie sich selbst, steht in 3. Mose 19,18b. Jesus selbst hat gesagt, dass in der Erfüllung dieser beiden Gebote alles erfüllt ist, was das Gesetz und die Propheten sagen. Die Antwort des Gesetzeslehrers war also 100% korrekt! Der Mann kannte die Theorie perfekt. Und die Praxis? Jesus sprach zu ihm: «Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben.» Die Gebote des Alten Testamentes haben diese Verheissung: Handle nach ihnen und du wirst leben. Und nicht sterben in der Sünde, könnte man ergänzen. Dem Geistlichen, der zu Jesus gekommen war, fehlten die Taten. Und im Inneren wohl auch der Glaube. Ohne Taten ist der Glaube tot, und ohne Glauben sind die Werke tot (s. Jakobus 2). Hätte er beides gehabt, er hätte nicht nur gelebt, sondern ewig gelebt. Wer weiss, vielleicht hat er sich später doch noch zu Jesus bekehrt, wenn er doch schon offen für ihn war? Wir wissen es nicht, das ist nicht überliefert. Aber wir wissen, dass der Mann aufgrund seines Ansehens noch ordentlich viel Stolz hatte…
Teil 2: Barmherzigkeit (Verse 29-37)
Lesen wir zusammen den Vers 29: «Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster?» Der Gesetzeslehrer wollte vor Jesus offenbar gut dastehen. Er überlegte sich in dem Moment nicht, dass er Gottes Sohn vor sich hatte – so wie alle stolzen Menschen nicht bedenken, dass der HERR sie sieht und hört. Der geistliche Obere wollte wissen, wer denn sein Nächster sei. Er dachte sich wohl: «Was soll der Vorwurf, dass ich die Liebesgebote nicht halte? Ich kümmere mich doch um die Personen, die mir nahestehen. Und zudem ist der Begriff ‘Nächste’ reichlich schwammig. Ja, wer soll mein Nächster sein? Es gibt zudem Menschen, um die ich mich kümmern muss und andere, die mir egal sein können.» Damit aber hatte er nicht recht. Jesus wollte ihn lehren, seine Augen und sein Herz für alle Menschen um ihn herum zu öffnen. Nicht nur für seine Liebsten, nicht nur für Personen, die seine Liebe erwiderten, nicht nur für Menschen, die ihm etwas nützten. Der Gesetzeslehrer sollte es wie Jesus machen und auch zu den verachteten, undankbaren, geringen Menschen gehen. Dabei sollten weder Alter noch Geschlecht noch Herkunft noch Religion eine Rolle spielen. Jesus muss innerlich geseufzt haben, wissend, dass dieser Gesetzeslehrer nicht einfach über seinen Schatten springen konnte. Er lehrte ihn aber trotzdem ganz geduldig. Er erzählte ihm ein Gleichnis, das weit über die Kreise der Christen bekannt geworden ist. Da war ein Mann, dem es übel erging. Wer würde ihm helfen? Lesen wir zusammen den Vers 30: «Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und liessen ihn halb tot liegen.» Die Distanz zwischen Jerusalem und Jericho beträgt um die 40 Kilometer Luftlinie. Damals gingen die Israeliten aber in aller Regel nicht den direkten Weg von einer Stadt zur anderen. Denn sie wichen dem Gebiet Samarien aus. Mit dem Samaritern verband sie eine historisch gewachsene grosse Feindschaft. Daher mussten sie, um auszuweichen, die Route über das Gebirge nehmen. Die Wegstrecke war unübersichtlich. Daher war sie auch gefährlich, denn hinter den Felsen lauerten immer wieder Räuber. Wer konnte, ritt oder ging rasch hindurch und blieb nicht stehen. Nun war da ein Mensch, den ereilte dieses Schicksal, ausgeraubt zu werden. Wir wissen nicht, woher die Person war und was sie in Jericho wollte. Aber wir wissen, dass die Räuber den Mann übel zurichteten. Sie verschafften sich mit Gewalt Zugang zu seinen Wertsachen, entrissen ihm diese, nahmen auch seine Kleider, denn damals gab es noch keine Billigkleider und Secondhand-Kleiderläden. Es war ihnen egal, dass sie den Ausgeraubten mit lebensgefährlichen Verletzungen zurückliessen. Nun war der Mann vollkommen hilflos. Die Strecke aber war recht rege genutzt, und so kam bald jemand. Es war ein Priester. Der hatte Gottes Wort und sollte ein Hirte sein für seine Nächsten. Half er dem ausgeraubten Mann? Nein: Er ging an ihm vorüber. Er wechselte sogar die Strassenseite. Der Priester war auf dem Weg nach Jerusalem, wo er einen Gottesdienst halten wollte. Er hatte viele Ausreden, warum er dem schwerverletzten Mann nicht half. Erstens konnte der Mann sterben und er würde sich so unrein an ihm machen und den Gottesdienst nicht halten können. Zweitens durfte er nicht zu spät kommen, denn Hunderte warteten auf den Beginn der heiligen Versammlung. Drittens war es gefährlich, dort zu bleiben. Vielleicht lauerten die Räuber, die den Mann ausgeraubt hatten, noch hinter dem nächsten Felsen? Im Grunde können wir verstehen, dass der Priester weiterzog. Auch wir haben immer viele Ausreden, warum wir dieses und jenes nicht tun. Wir helfen auch nicht immer und hören nicht immer zu. Das Grundargument, das für uns immer zieht: Keine Zeit! Dieser Priester half nicht. Wenn wir uns den Schwerverletzten bei ihm vorstellten, den er bestimmt angeschaut hatte, fragen wir uns: Hatte er denn überhaupt kein Mitleid? Liess ihn der Mann in seinem Elend kalt? Nun, jedenfalls kam dann schon bald ein anderer Mann: ein Levit. Und der – tat genau das Gleiche wie vorher der Priester! Es sind nicht immer die Menschen, die helfen, von denen man erwarten würde, dass sie es tun. Nicht alle Gläubigen nehmen ihre Pflichten als solche wahr. Aber Gott kann auch von ganz unerwarteter Seite her Hilfe schicken. Er wollte den ausgeraubten Mann retten, bevor er seinen Verletzungen erlag. Und sandte einen Reisenden vorbei, der noch nicht mal ein Jude war. Als der Gesetzeslehrer das nun Erzählte von Jesus hörte, muss ihm das Blut in den Adern starr geworden sein. Ein Heide, einer der Erzfeinde, sollte die Hilfe dieses Mannes gewesen sein?
Lesen wir zusammen den Vers 33: «Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte es ihn». Der Samariter hatte nicht einfach ein bisschen Mitleid. Sondern er war wirklich innerlich bewegt. Es jammerte ihn. Das war die Emotion, die auch Jesus für Menschen in deren Elend empfindet. Das griechische Wort für diese Regung ist ευσπλαχνίζομαι (efsplachnìzome). Das Wort leitet sich ab von σπλάχνα (splàchna), was so viel wie Eingeweide heisst. Das bedeutet, vor Mitleid Schmerzen zu empfinden, die sich körperlich auswirken. Die Umschreibung des Wortes ευσπλαχνίζομαι ist: Schmerzen für das Leid von jemandem empfinden, sodass man ihm helfen will. Genau so war das beim barmherzigen Samariter. Das Wort Erbarmen hatte im älteren Deutsch die Konnotation mit Nahe-Sein und Pflegen, solange es das brauchte. Und genau das tat der gütige Fremde in Jesu Gleichnis. Es ist wunderbar detailliert beschrieben, was der Samariter alles für den Ausgeraubten tat. Lesen wir zusammen die Verse 34 und 35: «und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme.» Ich habe mich beim Lesen dieses Wortes gefragt, warum der Samariter denn Öl und Wein dabeihatte. Vermutlich wollte er damit handeln, denn in Jerusalem brauchte man Solches für Opfergaben. Auch der Priester und der Levit mussten Öl und Wein dabeigehabt haben, um diese dem HERRN direkt darzubringen. Aber sie wollten nach der Vorschrift die Mengen, die sie dabeihatten, bringen und nichts davon zu einem anderen Zweck verwenden. Doch der Samariter, der alles von Öl und Wein hätte zu Geld machen können, setzte nun seine Prioritäten ganz anders. Mit dem Öl linderte er die Schmerzen des Schwerverletzten und mit dem Wein desinfizierte er die Wunden. Dann kümmerte er sich um den Mann, bis er wirklich nicht mehr länger bleiben konnte. Da delegierte er, auf seine Kosten, die Aufgabe der weiteren Pflege an eine Drittperson. Er würde dann auch zurückkommen und nach dem Verletzten sehen, ob es ihm bessergehe… Dieser Samariter ist ein grosses Vorbild für uns, mit welcher Herzenshaltung wir uns um andere Menschen kümmern sollten. Und zwar nicht nur um Nahestehende, nicht nur um Freunde, sondern auch um Fremde, um Feinde, um Menschen, bei denen wir nichts zu hoffen haben – weder Dank noch, dass sie durch uns zum Glauben kommen. Jesus kümmert sich auch um die hoffnungslosesten Fälle! Jesu Herz ist wie das des Samariters im Gleichnis: voll herzlichem Erbarmen, voller Jammer für uns, wenn es uns nicht gut geht. Jesus ist völlig bereit, uns zu helfen, auf die beste Art und so lange wie wir es brauchen. Auch er hat die Kosten für unsere Heilung bezahlt. Nämlich mit seinem eigenen Leben, indem er sein kostbares Blut für uns am Kreuz vergossen hat. Durch Jesu Barmherzigkeit erkennen wir seine Liebe. Selbst wenn wir von dieser erfüllt sind und vor Glücksseligkeit im Himmel schweben, spüren wir dennoch erst einen Bruchteil seiner Liebe. Wie immens gross diese ist, kann der menschliche Verstand schlicht nicht erfassen!
Jesus beendete sein Gleichnis. Nun hatte er eine Frage an den Gesetzeslehrer, der ihm aufmerksam zugehört hatte: «Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste geworden dem, der unter die Räuber gefallen war?» Hier ist nicht mehr abstrakt von einem Nächsten die Rede, sondern da ist eine Person für die andere der Nächste. Geworden, also in der konkreten Situation. Nächste kommen und gehen, und es gibt immer Personen, für die man Nächste oder Nächster ist. Der Gesetzeslehrer fragte Jesus: Wer ist mein Nächster? Jesus fragt aber: Wem sind wir die Nächsten? Das sind die Menschen, mit denen wir zu tun haben, situativ oder dauerhaft. Manche suchen wir uns aus, etwa indem wir einem Verein beitreten oder eine WhatsApp-Gruppe gründen. Aber die grosse Mehrheit der Menschen um uns sucht Gott für uns aus. Wir können sie nicht wählen, unsere Familie, unsere Klassenkameraden, unsere Arbeitskolleginnen, unsere Vorgesetzten. Auch nicht die ältere Dame, die uns im Zug gegenübersitzt oder den jungen Mann, der uns auf der Strasse nach dem Weg fragt. Gott ist es, der sie in unser Leben stellt. Er will von uns, dass wir für diese Personen Nächste sind, wenn sie etwas brauchen. So wie er uns auch Nächste erlaubt, die da sind, wenn wir das nötig haben. Das kann auch im ganz Kleinen sein. Vor einigen Tagen etwa kam ich von einem Anlass in Solothurn. Für nach Basel musste ich in Olten umsteigen, wo ich einige Minuten auf den Zug wartete. Es war elf Uhr abends und kühl draussen. Da kam ein junger Mann stracks auf mich zu und sprach mich an. Er wolle etwas Geld für die Notschlafstelle, sagte er. Der Mann war vollkommen wach und nüchtern, wenn auch von seinem Schicksal als Randständiger gezeichnet. Normalerweise hätte ich ihn mit einem, zwei Franken beschenkt und mir gedacht: Mit dieser Masche kann man immer kommen. Du brauchst das Geld bestimmt für Alkohol oder Drogen.» Doch diesmal wurde es mein Bestreben, diesem jungen Mann zu ermöglichen, dass er im Warmen schlafen konnte. Ich drückte ihm eine Zehnernote in die Hand. Hierfür bedankte er sich ganz herzlich. Ich fragte ihn, ob er nun genug Geld habe, um sich den Schlafplatz zu leisten, was er bejahte. Wäre es nötig gewesen, hätte ich ihm noch mehr Geld gegeben, auch bis es für eine Herberge gereicht hätte. Wie erleichtert der Mann war, nicht draussen schlafen zu müssen! Ich war froh, im geholfen zu haben. Erst dann ging mir auf: Gott wollte dem Mann diese Nacht eine Ruhestätte im Warmen schenken und hatte mir daher ins Herz gegeben, zu helfen. Das war also gar nicht mein Verdienst!
Der Gesetzeslehrer antwortete vollkommen korrekt auf Jesu Frage, wer dem Ausgeraubten hier der Nächste geworden sei. Lesen wir gemeinsam den Vers 37: «Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!» Der geistliche Obere schaffte es nicht, die Bezeichnung ‘Samariter’ über seine Lippen zu bringen. Daher sagte er: Der die Barmherzigkeit an ihm getan hat. Da war es wieder, das Tun. Über dieses muss der Gesetzeslehrer viel nachgedacht haben. Aber in die Praxis setzte er seine Erkenntnisse nicht oder nicht genügend um. Daher sagte ihm Jesus, er solle desgleichen tun, wie der Samariter getan hatte. Geh hin, das ist eine Aufforderung dazu, aktiv zu werden. Es gibt viele Menschen, denen es nicht gut geht, die aber nicht auf uns zukommen. Daher müssen wir auf sie zugehen, wenn sie unsere Hilfe brauchen. Halten wir also die Augen offen! Sie können potenziell überall sein.
Teil 3: Eins aber ist not (Verse 38-42)
Als Jesus weiter seines Weges ging, traf er auf eine Frau, die tatsächlich aktiv war. Lesen wir zusammen den Vers 38: «Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf.» Die Initiative ging eindeutig von Marta aus. Weder jemand von ihren Familienmitgliedern im Haus noch sonst jemand im Dorf war auf die Idee gekommen, Jesus und seine Jünger zu beherbergen. Es war Marta, die Schwester von Maria und Lazarus. Die sollten später noch eine wichtige Rolle in Jesu Wirkungsgeschichte spielen: mit der Erweckung des Lazarus, als dieser an einer Krankheit gestorben war. Nun waren also Jesus und seine Jünger im Haus von Marta und Maria. Letztere wurde ganz glücklich. Endlich hatten sie den Rabbi im Haus, der so mit Liebe sprach und mit Vollmacht lehrte! Sie wollte ihn unbedingt hören. Und Jesus setzte sich nicht einfach zu Tisch und liess sich bedienen, sondern er nahm Platz, um Gottes Wort an seine Gastgeberinnen weiterzugeben. So setzte sich Maria Jesus, dem HERRN, zu Füssen und hörte seiner Rede zu. Und Marta? Die machte sich einen richtigen Stress daraus, ihre Aufgaben als Gastgeberin zu erfüllen. Sie holte Esswaren aus der Vorratskammer, kochte Essen für alle, deckte den Tisch usw. Sie muss voller Liebe zu Jesus, voller Tatendrang ans Werk gegangen sein. Das war die richtige Herzenshaltung gegenüber Jesus! Wenn wir dem HERRN aus Dankbarkeit dienen, ist das etwas Kostbares und Köstliches. Doch hier wollte Marta wohl zu viel. Sie hatte vor lauter Arbeit gar keine Zeit, mit Jesus Gemeinschaft zu haben. Als sie so herumweibelte, fühlte sie sich alleingelassen. Und so wich die Dankbarkeit allmählich aus ihrem Herzen. Sie machte einer Genervtheit und einem Gefühl, unfair behandelt zu werden, Platz. Damit kam sie dann zu Jesus. Das wäre an sich löblich; aber hier brachte Marta nur ihren Unmut vor: «Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!» Marta bemühte Jesu Autorität für etwas, das sie auch selber ihrer Schwester hätte sagen können. Jesus ging durch das Herz: «Ach Marta, komme zur Ruhe! Komm her, die du mühselig und beladen bist, ich will dich erquicken, höre auch du mir zu und nimm meine Liebe in dir auf!» Was sprach er laut? Lesen wir zusammen die Verse 41 und 42: «Der HERR aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.» Jesus anerkannte Martas Mühen voll und ganz. Aber er wollte ihr den Fokus auf ihn, Jesus, zurückgeben. Darum erinnerte er sie daran, dass Zuhören wichtig ist. Jesus ist gekommen, um uns zu dienen, und nicht um bedient zu werden. Wir sollen dem HERRN dienen und unsere Aufgaben für ihn wahrnehmen. Aber noch wichtiger, ja notwendig, ist es, dass wir mit Gott und Jesus tiefgehende Gemeinschaft haben. Damit erwählen wir uns das gute Teil. Den Boost für unsere persönliche Beziehung mit dem HERRN. Die Ruhe und die Orientierung, die wir brauchen. Möge es der HERR uns ins Herz geben, dass wir sein Wort hören und aus Dankbarkeit umsetzen. Möge er seine Liebe und seine Barmherzigkeit ins Herz von jedem und jeder von uns pflanzen. Wir müssen wissen, dass er uns unendlich liebt, ganzheitlich, selbstlos und bis zur vollkommenen Hingabe. Wie unglaublich kostbar uns der HERR sieht, dass er für uns sogar seinen eigenen Sohn am Kreuz geopfert hat! Möge uns Gott die Augen und das Herz öffnen für andere Menschen, sodass wir sie ebenfalls so kostbar und liebenswert betrachten. Manchmal müssen wir auch über unseren Schatten springen und Berührungsängste abbauen, wenn wir anderen helfen wollen. Wir müssen Vorurteile überwinden, Gewohnheiten beiseitelassen und den Kreis unserer Nächsten auf potenziell alle unsere Mitmenschen erweitern. Möge der HERR uns dabei begleiten und mit der Wirkung seines Heiligen Geistes in diese Richtung bringen. Immer mehr. Begleitet durch unser Tun, indem wir sein Wort umsetzen, von Jesus lernen und ihm immer ähnlicher werden. Bis unser Wesen und unser Leben sein Abglanz sind.
Lesen wir zum Schluss nochmals zusammen den Leitvers, Vers 44: «Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!»