Johannes 9,1-12
Guten Morgen! Ich freue mich sehr, dass wir heute wieder zusammen Gottesdienst feiern. Es ist ein wunderschöner Tag. Weil Sonntag ist, der Tag unserer Gemeinschaft mit Gott. Das Wetter ist nicht das schönste. In den letzten Tagen hatte es immer wieder Hochnebel. Für die, die unterhalb der etwa tausend Meter sitzen, ist es mühsam, ständig graues Wetter zu haben. Aber die oberhalb von dieser Höhe freuen sich über warmen, ungetrübten Sonnenschein. Es ist also eine Frage der Perspektive auf den Nebel: ob wir ihn von unten oder von oben sehen. Auch als Gläubige haben wir verschiedene Perspektiven auf dieselbe Sache, die wir einnehmen können. Betrachten wir sie weltlich oder geistlich? Wie gehen wir mit einer Schwierigkeit um – lassen wir uns von ihr unsere Stimmung vernebeln oder hoffen wir auf Gottes Sonnenlicht, dass es sich darin zeige? Gott sei Dank, wechseln Gottes Wort und das Gebet uns immer wieder die Perspektive. Auf unsere Lage, auf Probleme anderer Menschen, auf unsere Schwächen und Unzulänglichkeiten usw. Kommen wir damit zu Jesus. Kommen wir überhaupt regelmässig zu Jesus! Denn er ist dieses Sonnenlicht, das Licht der Welt. Er allein kann uns retten und uns befähigen und motivieren, uns an seinem Werk zu beteiligen.
Lesen wir zusammen den Titel meiner Botschaft: «Es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm». Und lesen wir gemeinsam den heutigen Leitvers, Vers 3:
Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.
Johannes 9,3
Auch diesmal möchte ich euch zuerst eine Geschichte erzählen. Sie stammt nicht von mir; ich habe sie aus dem Internet. Sie hat den sinnigen Titel: «Mit dem Herzen sehen». Unter tausend Kleiderschichten begraben, sass er vor dem Kaufhaus. Seine schmutzige Hand umklammerte einen Pappbecher und hin und wieder klapperte eine Münze hinein, die ihm ein eiliger Passant im Vorbeihasten hinwarf. Sein Gesicht war von Furchen durchzogen, Spuren eines Lebens, in dem es tiefe Täler gegeben hatte. Dreckig waren Kleider, Haare und Haut und wer ihm zu nahe kam, wurde von seinem Geruch schnell wieder auf Abstand gehalten. Doch allzu viele waren es nicht, die nahe genug an ihn herantraten, um den Gestank wahrzunehmen… Es war ein kalter Dezemberabend und die Menschen hasteten auf der Suche nach Konsum und Geschenken – was im Grunde auch das Gleiche war – durch die Geschäfte der Einkaufspassage, vor der er kauerte. Ihm war kalt und auch seine Kleiderschichten konnte die klirrende Dezemberkälte nicht davon abhalten, ihm tief in die Knochen zu dringen. Wenn die Menschen ihn wahrnahmen, sahen sie einen Bettler, einen Penner, Obdachlosen oder Verwahrlosten auf dem Boden kauern. Einen Schnorrer oder Schmarotzer wurde er gelegentlich auch genannt. Und er selbst hatte keinen besseren Namen für sich. Was er einmal gewesen war, wer er einmal gewesen war, schien unwichtig geworden zu sein. Wann ihn zum letzten Mal jemand mit seinem Namen angesprochen hatte, konnte er nicht mehr sagen. Was waren schon Namen, dachte er, in einem Moment der Trübsal. Das Leben hatte ihm übel mitgespielt und irgendwann hatte er die Kraft für die grossen und kleinen Spielchen verloren und hatte aufgegeben. Langsam, Stück für Stück, war das Leben, das er einst besessen hatte, weggebrochen und mit seiner Wohnung, seinen Freunden und seiner Familie waren irgendwann auch sein Name und seine Würde verschwunden. Nun war er der Penner, der Alte, der Zottelbart, der immer an dieser Stelle sass und bettelte. Vorsichtig pustete er in seine Hände, um sie ein wenig aufzuwärmen. Da bemerkte er ein kleines Kind, das einige Meter von ihm entfernt stand und ihn anstarrte. So bewusst hatte ihn schon lange niemand mehr betrachtet und plötzlich schämte er sich für den Anblick, den er bieten musste. Nachdenklich legte das Kind den Kopf schief und schien intensiv nachzudenken. Dann zupfte es seine Mutter an der Hand und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Nun starrte auch sie ihn an. Ihr Blick musterte ihn abwertend. Dann ging die geflüsterte Unterhaltung, unterbrochen von gelegentlichen Seitenblicken auf ihn, weiter. Die Mimik der Frau veränderte sich während des Gespräches und wurde weicher. Schliesslich kamen die Beiden Hand in Hand zu ihm. „Weisst du,“ sprach das Kind ihn an, „ich darf mir heute etwas aussuchen.“ Der Alte nickte und murmelte: „Lass mich raten; du hast bestimmt ganz viele Wünsche.“ Das Kind nickte. „Du auch?“ Nachdenklich sah der Alte das Kind an. Ob er Wünsche hatte? Abends eine Schlafmöglichkeit, die halbwegs warm war, genug Geld, um nicht zu hungern. An grössere Dinge wagte er nicht zu denken. Abwartend sah das Kind ihn an. Um es nicht hinzuhalten, murmelte er: „Ein heisser Kaffee und ein warmer Ort zum Schlafen. Mehr brauche ich nicht.“ Das Kind lächelte ihn an und warf ihm eine Münze in den Becher. Dann folgte es seiner Mutter ins Kaufhaus. Lange blickte der Alte dem Kind nach. Ohne es zu wissen, hatte es ihm ein Geschenk gemacht. Es hatte ihn wahrgenommen. Unter all dem Dreck hatte es einen Menschen erkannt. Eine Stunde mochte vergangen sein und noch immer dachte der Alte an das Kind. Da tippte ihm plötzlich jemand auf die Schulter. Da stand es wieder, voll beladen mit Einkaufstüten. „Ich habe mir was aussuchen dürfen“, wiederholte es glücklich lächelnd. „Dann wünsche ich dir viel Spass mit deinen Sachen,“ erwiderte der Alte und lächelte dem Kind zu. „Nein, ich wünsche dir viel Spass mit deinen Sachen“, antwortete dieses und legte einen warmen Schlafsack und eine dicke Jacke vor dem Alten ab. „Weisst du, was meine Mama mir immer sagt, bevor ich abends schlafen gehe?“ fragte das Kind den staunenden Alten. „Gute Nacht?“ vermutete dieser. „Das auch. Aber sie sagt noch etwas: Versuche jeden Tag die Welt ein Stückchen besser zu machen. Ein Stückchen nur für irgendjemand. Dann ist schon viel getan.“ Verlegen schaute der Alte die Mutter an. Doch diese nickte. „Ihnen heute ein wenig Wärme zu schenken, war alles, was sich mein Kind heute ausgesucht hat.“ Gerührt schaute der Alte zwischen den Beiden hin und her. Die Mutter beugte sich zu ihm herab und drückte ihm einen Schein in die Hand. „Machen Sie es gut. Und frohe Weihnachten.“ Dann verschwanden die beiden in der Menschenmenge. Als der Alte abends in seinem neuen Schlafsack lag, legte sich ein Lächeln auf sein Gesicht. „Anton,“ dachte er. „Ich heisse Anton und ich bin ein Mensch.“ Eine kleine Träne rann seine Wange hinab.
Menschen lassen sich nicht auf ihre Funktion oder auf ihr Äusseres reduzieren. Wir tun gut daran, sie als wertvolle Individuen zu sehen, mit den Augen der Liebe und der Wertschätzung. Wie Jesus sie sieht. Und wie Jesus uns sieht. Jeder Mensch hat seinen Wert, sein Potenzial. Und damit kann Gott wirken. So der Mensch dies denn auch will.
Teil 1: Die Werke Gottes (Verse 1-5)
Lesen wir gemeinsam den Vers 1: «Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war.» Vermutlich war Jesus dort noch in Jerusalem. Soeben war er vor der Meute geistlicher Leiter geflohen, die ihn für seine vermeintliche Gotteslästerung steinigen wollten. Aber das beeinträchtigte ihn in keiner Weise. Er liess seinen liebevollen Blick schweifen zu den Menschen, die in seiner Nähe waren. Und sein Blick blieb an einem besonders elenden solchen haften: einem blind geborenen Bettler. Seinen Jüngern, mit denen Jesus unterwegs war, wäre der Mann nicht wirklich aufgefallen. Arme gab es damals viele. Auch Sehbehinderte. Das Sonnenlicht im Nahen Osten ist sehr grell, und manche Menschen hatten damals davon Augenschäden. Es gab ja noch keine Sonnenbrillen mit UV-Filter und dergleichen. Aber Jesus sieht die einzelnen Menschen. In ihrer Individualität und in ihrer Not. Als Mensch gewordene Liebe Gottes kommt er gerade zu den Elenden. Als Arzt geht er zu den Kranken. Als Retter kommt er zu den verlorenen Schafen. Als er im Tempel lehrte, kamen viele Menschen zu ihm. Aber es gab Leute, die kamen nicht zu ihm, konnten das vielleicht auch nicht. Zu diesen kam Jesus selber, auf eigene Initiative, selbst wenn sie ihn nicht suchten. Wie zu diesem von Geburt an sehbehinderten Bettler. Der hatte ein besonders fatalistisches Schicksal. Für seine Augen gab es keine Hoffnung, dass die Ärzte sie heilen konnten. Sein einziges Gewerbe, das er tun konnte, war das Betteln. Eine entwürdigende Situation.
Manchmal fühlen wir uns auch total fatalistisch. Es gibt Schwächen, Unzulänglichkeiten, Defizite, die uns schon ein ganzes Leben lang begleiten. Das kann uns niederdrücken. Aber genau da, wo wir es nicht vermutet haben, ist Hoffnung! Jesus kann mit genau dem, von dem wir gedacht haben, dass es uns am meisten am Gott Dienen hindere, vielleicht gerade am meisten tun! Indem er uns hilft, uns zu überwinden und trotzdem zu handeln. Indem wir ganz auf ihn angewiesen sind und von ihm Kraft und Fähigkeiten gewinnen, die wir sonst niemals gehabt hätten. Ein kleines Beispiel aus meinem Leben: Eine meiner Aufgaben für Gottes Werk ist, an der Uni Bern Studierende zum Bibelstudium einzuladen. Dabei sehe ich meine Schüchternheit und meine Hemmungen, fremde Menschen über Glaubensthemen anzusprechen, als Hindernis an. Sind sie aber nicht! Eines Tages ging ich zu dem Einladungswerk. Dabei dachte ich nicht an diese meine Schwäche – und auch sonst an nichts Hinderliches – und vertraute den Verlauf der Dinge nur dem HERRN an. Traute auf ihn; denn er weiss schon, was er mir an Stärken und Schwächen gegeben hat und wie er damit wirkt. Ich sprach im Unitobler-Gebäude ein paar Studierende an. Mit einer Studentin hatte ich ein schönes Gespräch. Sie schien gerade meine zurückhaltende, freundliche Art sympathisch zu finden. Ihr erzählte ich offen, wie ich zum Glauben kam. Meine persönliche Story weckte ihr Interesse. Zwar lehnte sie meine Einladung zum Bibelstudium ab. Aber vielleicht beim nächsten Mal nicht mehr, wenn ich ihr begegne?
Die Jünger Jesu sahen also den Blindgeborenen. Sie interessierten sich für dessen Lage. Lesen wir gemeinsam den Vers 2: «Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?» Damals glaubten die Juden, dass die Sünde die Ursache für Not oder Krankheit sein müsse. Eine Strafe Gottes, die die Betroffenen in irgendeiner Weise verdient hatten. Die Frage war komisch gestellt: Der Mann konnte ja nicht gut gesündigt haben, bevor er geboren worden war. Aber vielleicht trug er die Sünden seiner Eltern? Denn Gott, das wussten die Juden, ist ein eifernder Gott, der Missetaten bis ins dritte und vierte Glied derer vergilt, die ihn hassen unter den Seinen. Wenn etwas nicht gut ist oder nicht gut läuft, ist schnell die Frage nach dem Warum da: Warum ich? Warum habe ich das nicht, was die anderen haben? Warum hat Gott die aktuelle Krise zugelassen? Und so weiter. Diese Fragen sind legitim und wir dürfen sie Gott stellen. Aber sie bringen uns im Grunde nicht weiter. Schon gar nicht, wenn wir uns oder andere Menschen beschuldigen, die wir für die Misere verantwortlich machen. Oder wenn wir sogar Gott beschuldigen und ihm Vorwürfe machen. All dies zeugt von einer noch nicht ganz intakten Beziehung zwischen uns und Gott, unseren Mitmenschen und uns selbst. Jesus fragte nicht nach dem Warum. Der Blindgeborene war nun mal so, wie er war. Nur musste er nicht für immer so bleiben. Statt nach dem Warum fragte Jesus nun nach dem Wozu. War diese Blindheit für etwas gut, und wenn ja, zu was? Wir dürfen uns Solches auch fragen: Gibt es an unserer Schwierigkeit nicht auch etwas Gutes? Hat Gott nicht diese und diese Schwäche geschaffen, damit er uns ergänzen und unsere Stärke sein kann? Ist die aktuelle Krise nicht auch eine Chance, dass Gott seinen Willen darin klar machen kann?
Lesen wir gemeinsam den Vers 3: «Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.» Mich erinnert dieser Vers immer an das Wort aus Johannes 11,4. Als Jesu Freund Lazarus todkrank war, sprach Jesus: «Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes, damit der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde.» Ja, auch in den hoffnungslosesten, vollkommen tot erscheinenden Situationen kann der HERR noch etwas machen! Trauen wir ihm das doch zu! So war es auch im Fall des Blindgeborenen: Tatsächlich, die angeborene Sehbehinderung dieses Mannes war zu etwas ganz Konkretem nütze – vergleichbar mit der Krankheit von Lazarus. Nämlich, dass der HERR daran sein wunderbares, mächtiges, heilendes Wirken offenbar machen konnte. Wenn diesem Hoffnungslosen die Sehkraft wiedergegeben würde, würde das zeigen, dass Gott, dem Allmächtigen, nichts unmöglich ist. Dass er mehr Liebe hat und mehr Wunder tun kann, als wir uns das überhaupt vorstellen können. Gott tat und tut vielerlei Werke in und unter uns. Grosse und kleine. Er könnte sie alle ganz alleine tun. Aber das will er nicht. Sondern in seiner immensen Gnade will er uns kleine Menschenwesen da dabeihaben. Uns beteiligen an seinem Werk – vom Aufmuntern eines Menschen über praktische Hilfe bis zum Führen eines Menschen zu Glauben, Leben und Jesus-Jüngerschaft. So gross ist seine Wertschätzung gegenüber uns. Welche Werke sind das nun? Für jeden und jede wieder andere. Bibelworte, die wir lesen und mit denen wir uns beschäftigen, geben Hinweise und auch konkrete Ideen, was wir tun können. Ebenso Ideen, die uns im Gebet kommen, also gewissermassen Antworten, die uns Gott auf Fragen zu seinem Wirken gibt. Und manchmal kommt uns konkret etwas vor die Hände, das wir tun können, etwa einem Menschen in einer konkreten Notlage zu helfen. Damit wir solche Menschen erkennen, müssen wir aber, wie Jesus, mit offenen Augen und Ohren und mit offenem Herzen durch die Gegend laufen.
Nicht nur welche Werke wir tun, ist verschieden, sondern auch die Zeit, zu der wir sie tun. In jungen Jahren haben wir viel Power, um etwas zu bewirken; im Alter lässt die Kraft nach und wir konzentrieren uns vielleicht eher aufs Fürbitte-Leisten. Gelegenheiten, die wir haben, etwas zu machen, das uns vor die Hände kommt, verstreichen, wenn wir sie nicht nutzen. Erwähnen wir im Gespräch mit Freunden nicht an der passenden Stelle etwas von Gott, wechseln die Freunde das Thema und die Gelegenheit ist weg. Jesu Jünger hatten auch ihre Zeit zum Wirken. Zwar sollten sie später als Apostel in alle Welt ausgesandt werden. Aber momentan brauchten sie noch Jesus in Menschengestalt bei sich, der sie zu Jüngern erst am Erziehen war. An seiner Seite lernten sie, Gottes Werke zu tun. Lesen wir zusammen die Verse 4 und 5: «Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.» Jesus wusste, dass seine Tage gezählt waren. Schon stellten ihm zahlreiche geistliche Obere nach; sie würden ihn bald finden, verurteilen und kreuzigen lassen. Dann würde Jesus, das göttliche Licht, sterben. Geopfert für uns, für die Vergebung unserer Sünden! Als Jesus am Kreuz hing, wurde es mitten am Tag finster wie in der Nacht. Auch das zeigt, dass Jesus das Licht der Welt ist. Jesus auferstand und fuhr dann vierzig Tage später in den Himmel auf. Die Welt sieht ihn nicht mehr. Aber er lebt, an der Seite Gottes im Himmel. Und in unseren Herzen. Darum ist er uns, die wir an ihn glauben, noch immer Licht. Tröstendes, leitendes Licht.
Teil 2: Geh zum Teich Siloah (Verse 6-12)
Jesus war also gewillt, diesem Mann zu helfen mit seiner göttlichen Kraft. Ihm die Augen aufzutun. Zuerst leiblich, später auch geistlich. Denn Jesus will uns immer ganzheitlich heilen. Nicht nur unser Problem beseitigen, sondern auch, dass wir daraus geistlich etwas lernen und mehr über Jesus erfahren. Also schritt Jesus nun zur Tat. Lesen wir zusammen die Verse 6 und 7: «Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden. Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah – das heisst übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.»
Jesus machte einen Brei aus Erde und Speichel und kreierte daraus eine Augensalbe. Obwohl man damals Speichel heilende Kräfte für die Augen nachgesagt hat, war diese Heilungsmethode eine unkonventionelle. Jesus hatte und hat für jeden einzelnen Menschen ganz individuelle Methoden, ihn anzusprechen, ihm geistlich zu helfen und ihm zu heilen. Denn er kennt uns und weiss, auf was wir gehen und was wir brauchen. Und so hat er auch für uns je einen individuellen Weg, einen persönlichen Mix an Eigenschaften und Begabungen und ein eigenes Set von Aufgaben für sein Werk ausgesucht. Das zeugt von seiner grossen Liebe für jeden Einzelnen und jede Einzelne von uns. Hier arbeitete Jesus mit einfachen Mitteln. Er nahm das, was vorhanden war: Erde und Speichel. Wenn wir Gottes Werk dienen, denken wir manchmal, dass uns dies und das dafür fehlt. Doch Jesus lenkt unseren Blick auf das, was wir haben. Gottes Wort, Beten und Fürbitte, die Gemeinschaft mit Gott – das ist etwas, das wir immer haben. Und mit dem kann der HERR schon eine ganze Menge bewirken. In unseren Herzen und für sein Erlösungswerk. Sollte uns tatsächlich etwas fehlen, das wir brauchen, um Gott zu dienen, so bitten wir den HERRN doch darum, dass er es uns gibt: Weisheit, Zeit, Kraft, Ressourcen usw. Und vor allem ein Hirtenherz und Errettungswillen für die Menschen, die Gott uns gegeben hat oder zu denen er uns sendet.
Jesus sprach zu dem Mann: «Gehe zum Teich Siloah – das heisst übersetzt: gesandt – und wasche dich!» Jetzt war Aktion gefragt bei dem Mann. Jesus hatte ihm die Augensalbe aufgetragen. Aber das sich Waschen, das musste der Noch-Sehbehinderte selber machen. Nur wenn er genügend Glauben hatte, konnte er Jesus gehorchen und den Weg auf sich nehmen. Und der war bestimmt nicht einfach zu finden: Er lag ausserhalb der gewohnten Gefilde des Mannes, und für Menschen, denen das Augenlicht fehlt, ist das Finden unbekannter Orte eine besondere Orientierungsleistung. Aber der Mann gehorchte! Er ging und wusch sich im Teich Siloah. Das war im Grunde ein normaler Teich. Das grösste Wasserreservoir der Stadt Jerusalem, gespeist von der Gihon-Quelle am Berg Ofel. Sein Name bedeutet eigentlich «Sender» oder «Leitungskanal», da von der Quelle zum Teich ein 500 Meter langer Leitungstunnel ging. Aber «gesandt» passt hier viel besser. Im übertragenen Sinne ging der Mann für seine Heilung zum Gesandten. Zu Gottes Gesandtem, also Jesus. Er wusch sich dort. Reinigte sich von den Schatten und Lasten seiner Vergangenheit. Und – wurde tatsächlich sehend!
Wir können Gottes Wort empfangen. Aber wenn wir uns damit nicht auseinandersetzen und ihm aus Glauben gehorchen, wird es in unserem Leben keine Kraft entfalten. Wir können in einer schwierigen Lage jede Menge nützliche Tipps bekommen, aber erst, wenn wir zum HERRN kommen, können wir geistlich an der Sache wachsen. Aktion ist gefragt, also Handeln aus Glauben. Wir können Gottes Wort an andere Menschen weitergeben, aber erst wenn sie dieses annehmen, können sie zum Glauben kommen. Wir geben ihnen gewissermassen die Augensalbe, aber mit dem Wasser des Teichs Siloah waschen müssen sie sich selber. Siloah, das ist Jesus. Sich waschen, das ist der geistliche Neuanfang eines Menschen. Busse und Taufe, das Annehmen von Jesus als persönlichen Heiland. Damit wir von unseren Sünden rein sind, müssen wir uns mit Jesu Blut reinwaschen lassen, das er für uns am Kreuz vergossen hat. Anders können wir nicht rein werden. Nehmen wir seine Vergebungsgnade an! Dann werden wir sehend. Geistlich sehend, also mit geöffneten geistlichen Augen. Mit der Erkenntnis, wer Jesus ist und wer Gott ist. Wer wir in seinen Augen sind. Und wie er die anderen Menschen sieht. Auf dass auch unsere Augen und unsere Herzen für diese aufgehen.
Der nun sehend gewordene Mann war einfach happy, voller Dankbarkeit, nun endlich das Augenlicht bekommen zu haben. Er blickte staunend um sich; alles muss für ihn neu, spannend, glänzend und schön gewesen sein. Und was für Möglichkeiten sich nun in seinem Leben auftaten! Er würde nicht mehr länger auf die Bettelei angewiesen sein, sondern konnte nun einen Beruf erlernen und ergreifen. Mit eigenen Händen und unabhängig sein Geld verdienen. Aber nicht nur der geheilte Mann erfuhr von dem passierten Wunder. Wenn der HERR etwas Grossartiges an jemandem getan hat, dann hat dies Strahlkraft weit über die Person hinaus. Lesen wir gemeinsam die Verse 8 und 9: «Die Nachbarn nun und die, die ihn früher als Bettler gesehen hatten, sprachen: Ist das nicht der Mann, der dasass und bettelte? Einige sprachen: Er ist’s; andere: Nein, aber er ist ihm ähnlich. Er selbst aber sprach: Ich bin’s.» Die Meinungen der Menschen, die den Mann als blinden Bettler gekannt hatten, waren durchaus differenziert. Manche waren offen für das Wunder, manche nicht. Manche trauten ihren Augen nicht, als sie den Mann nun sehend sahen. Darum verschlossen sie ihre eigenen Augen, nämlich vor der Tatsache, dass das möglich war. Sie behaupteten darum, dass das nicht der Ex-Bettler war, sondern ein Dritter, der diesem glich. Aber der Mann sagte selber von sich: «Ich bin’s.» Und er musste es ja wissen. Ja, in seiner Dankbarkeit wollte er sich ihnen gerne zeigen, sein Vorher-Nachher. Dabei wusste er, an wen er den Dank richtete. Nicht an irgendwelche Umstände, sondern an Jesus, der ihn geheilt hatte! Diesen bezeugte er denn auch. Dazu kam ihm die neugierige Frage seiner Bekannten gelegen. Lesen wir gemeinsam die Verse 10 bis 12: «Da fragten sie ihn: Wie sind deine Augen aufgetan worden? Er antwortete: Der Mensch, der Jesus heisst, machte einen Brei und strich ihn auf meine Augen und sprach: Geh zum Teich Siloah und wasche dich! Ich ging hin und wusch mich und wurde sehend. Da fragten sie ihn: Wo ist er? Er antwortete: Ich weiss es nicht.» Noch konnte er ihnen nicht so viel Konkretes zu Jesus sagen. Er sollte seinem Retter zuerst nochmals begegnen. Aber wir werden sehen, wie er immer mehr und Genaueres über Jesus wusste und weitererzählte. Das gilt auch für uns: Je besser wir Jesus kennen, desto besser können wir ihn bezeugen. Desto mehr erreicht auch das, was wir über ihn erzählen und von ihm an Worten weitergeben, die Herzen der Zuhörenden. Desto mehr Kraft hat unser Zeugnis Jesu, unser persönliches Bekenntnis zu ihm. Und desto mehr leben wir das, was wir anderen predigen, auch selber. So kann der Heilige Geist nicht nur in uns wirken, sondern seine Kraft auch in den Herzen derer entfalten, die wir ansprechen und die Zeugen von unserem Glaubensleben sind. Und doch gebraucht der HERR in seiner Gnade auch bereits die unvollständigen Zeugnisse von ihm! Das heisst, dass auch du – und du, und du, wie ich auch – für sein Werk wirken und sein Wort weitergeben können. Auch wenn du vielleicht noch nicht das geistliche Level erreicht hast, das du dir wünschst. Und für dich und andere beten und sehen, dass das wirkt. Denn das wird dich ein Stück näher an genau dieses Level bringen. Aktion ist gefragt, Tun aus Glauben.
Zum Schluss:
Lesen wir nochmals den Leitvers, Vers 3: «Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.»
Ich bin dankbar für Gottes Hoffnung. Es gibt keine Situation, die zu vertrackt wäre, als dass der HERR noch etwas daraus machen könnte. Hier müssen wir Gott manchmal definitiv mehr zutrauen – denn nichts ist dem Allmächtigen unmöglich, bloss weil es bis dahin noch nicht geschehen ist. Auch wenn wir von Geburt an eine Schwäche, eine Unzulänglichkeit, vielleicht sogar eine Behinderung haben: Es ist nicht zu unserem Gram, Schuldgefühlen oder Fatalismus. Viel mehr sollen wir uns fragen: Was will Gott damit machen? Für mich ist das sehr tröstlich. So kann Gott mich für sein Werk gebrauchen, auch wenn ich viele charakterliche Schwächen habe, dazu körperliche Probleme wie die Arthrose am linken Hüftgelenk, und nicht viele finanzielle Ressourcen. Denn er liebt mich genau so, wie ich bin. Er wollte mich so haben und er will mich weiterbringen und dort, wo es nötig ist, auch heilen und verändern. Dies gilt für mich und dies gilt auch für euch.
Weiter brauchen wir Glauben, der uns dazu anregt, aktiv zu werden. Etwa indem wir neugierig werden auf ein Wort, ob es auch wahr ist, und diesem dann gehorchen. So werden wir Erstaunliches über Gottes Wirken erfahren. Gott sei Dank holt uns der HERR immer wieder aus unserer Passivität. Verändert unsere Perspektive. Von finsteren eigenen Gedanken zu lichtvollen seinen Gedanken über uns, die Welt, die Lage, die Menschen. Sein Werk geht weiter, weltweit. Nicht einmal Corona konnte dies stoppen. Im Gegenteil: Durch die Kontaktbeschränkungen haben UBF-Gemeinden weltweit neue digitale Methoden des Austauschs gefunden. Hätten wir ihm das zugetraut?
Möge der HERR uns jeden Tag die Gelegenheit zur tiefen Gemeinschaft mit ihm geben, zum Beten und zum uns Beschäftigen mit seinem Wort. Auch wenn wir mal ganz viel zu tun haben. Möge er uns seine Hoffnung, seine Kraft, seine Autorität zu wirken und seinen Segen schenken. Jeden Tag. Und jeden Tag noch ein bisschen mehr.