Wer unter euch ohne Sünde ist…

Guten Morgen! Ich freue mich sehr, dass wir heute wieder zusammen Gottesdienst feiern. Und Gott freut sich darüber noch mehr. Das Volk der Israeliten kam an einem Sabbat früh am Morgen in den Tempel, um Jesus zu hören. Wir kommen am Sonntag, halt so früh, wie es sich einrichten lässt, hier ins Gemeindezentrum, um Jesus zu hören… Das Wetter ist herbstlich. Eine Jahreszeit ist daran, die andere abzulösen. Wir blicken auf einen vielseitigen Sommer zurück. Durchzogenes Wetter und heller Sonnenschein. Bestehen und Nichtbestehen von Prüfungen. Eine Reise, die mir mein finsteres Herz wieder mit Licht erfüllt hat. Nun beginnt für das Jahr eine neue Zeit. Ein neues Kapitel wird aufgeschlagen. In unserem Leben gibt es viele Wechsel, wo alte Kapitel enden und neue beginnen. Wo Jesus in Menschen wirkt, beginnt aber nicht nur ein neues Kapitel im Leben, sondern ein ganz neues Buch. Ein geistliches Buch, in welchem Gotteslob, Dank, Vertrauen, Mühen, Freude und Hingabe Platz haben – aber die Sünde hat dort keinen Platz mehr. Jesus will uns alle dazu einladen, ein neues Buch zu beginnen. Also neu in ihm anzufangen, die, die das noch nicht getan haben. Hierfür vergibt er unsere Sünden – und leitet uns zur Busse.

Lesen wir zusammen den Titel meiner Botschaft: «Wer unter euch ohne Sünde ist…». Und lesen wir gemeinsam den heutigen Leitvers, Vers 7:

Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.

Johannes 8,7

Auch diesmal möchte ich euch zuerst eine Geschichte erzählen. Diese dreht sich um einen jungen Mann namens Alex. Alex mochte Streit. Er stritt sich bei fast jeder Gelegenheit mit anderen Menschen: Freunden, Kollegen, bisweilen auch mit Verwandten oder mit ihm völlig Unbekannten. Dabei dachte er sich nicht viel; er hatte einfach Freude daran, Recht zu behalten und das letzte Wort zu haben. Manche liessen sich gerne auf den Streit ein. Andere waren verletzt, wütend oder spotteten über den jungen Streithahn. Alex gefiel sich in seiner Rolle, und er stritt sich daher noch öfters und noch heftiger mit anderen Menschen. Bis er eines Tages zu weit ging. Da war ein Arbeitskollege, mit dem er in einer Raucher-Pause vor dem Büro sprach. Eigentlich mochte er diesen nicht, darum war er eines seiner liebsten Streitobjekte. Über eine Bagatelle entbrannte ein ganz heftiger Streit. Dabei hatte dieser Kollege, Dennis hiess er, eine Menge Probleme am Hals: Eheprobleme, Stress, drohende Schulden. Was Alex natürlich nicht bedachte. Er putzte gerade den Kollegen herunter, als der sich einfach umdrehte und davonging. Alex dachte sich nicht viel dabei und ging wieder an die Arbeit. Drei Stunden später erreichte ihn ein Anruf von einem anderen Kollegen: Dennis war auf der Strasse verunfallt und lag nun mit schweren, aber zum Glück nicht lebensbedrohlichen Verletzungen im Spital. Da übermannte Alex das schlechte Gewissen. War er nicht schuld an Dennis’ Unfall? Was, wenn Dennis gestorben wäre? Hätte so ein Streit überhaupt sein müssen? Alex verurteilte sich in Gedanken selbst. An dem Abend konnte er zuerst lange nicht einschlafen, zu sehr plagte ihn sein schlechtes Gewissen. Als er dann aber doch einschlief, träumte er. Im Traum ging er seinen gewohnten Spazierweg durch den nahen Wald. Doch auf einmal begann der Weg, anders auszusehen. Er wurde immer schöner und schöner. Bunte Blumen blühten, Vögel zwitscherten, blühende Bäume dufteten. Dann hörte Alex ein Rauschen. Woher dieses wohl kam? Die Antwort hatte er, als der Weg um eine Kurve bog und in einer Lichtung endete. Dort war ein Fels, aus dem kristallklares Wasser quoll und sich in einen Teich ergoss. Der Anblick war so schön, dass Alex der Atem stockte. Das Wasser warf Dunst auf, in welchem sich das Licht in zahlreichen bodennahen Regenbögen brach. Der Fels selbst war wie aus braunem Marmor, und um die Quelle schwirrten bunt glänzende Libellen. Und im Teich wuchsen wunderschöne, riesige, blühende Seerosen. Alex konnte dem Drang nicht widerstehen, unter die Quelle zu stehen und sich vom kühlen Nass duschen zu lassen. Als er das tat, überkam ihn ein unbeschreiblich herrliches Gefühl von Freiheit, Leichtigkeit und Reinheit… In dem Moment wachte Alex auf. Noch immer lag ein Rest Frieden auf seinem Herzen. Als er sich umsah, staunte er nicht schlecht: Neben seinem Bett lag ein Stein, der so aussah wie der Fels von der Quelle im Traum! Der Stein war extrem schön, wie ein Edelstein. Alex zögerte nicht lange. Noch an dem Morgen ging er Dennis im Spital besuchen. Er schenkte ihm den Stein und erzählte ihm, was es damit auf sich hatte. Dennis wollte den Stein zuerst nicht annehmen. Doch dann sah er in Alex’ Augen. Da war… ehrliche Liebe! Seither streitet sich Alex nicht mehr mit anderen. Oder zumindest fast nicht mehr.

Wir Menschen denken oft, dass jemand, der uns etwas richtig Übles gesagt oder getan hat, keine zweite Chance verdiene. Jesus dagegen sieht das diametral anders. Er verdammt uns nicht. Er schenkt uns den schönen Stein, besser gesagt: Er schenkt uns sein Herz. Er kann unsere Sünden vergeben – weil er selber dafür geradegestanden ist. Und will denen, die sich schuldig gemacht haben, einen neuen Anfang geben.

Teil 1: Die Macht des Gesetzes (Verse 1-6)

Wir erinnern uns: Jesus war in Jerusalem beim Laubhüttenfest gewesen. Dort hatte er die Menschen gelehrt und zu sich eingeladen. «Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fliessen.» Jesu Auftritt, und alles, was er getan hatte, warf hohe Wellen. Man stritt sich im Volk darüber, wer er war. Ein Prophet, der Christus, oder nur ein Bluffer? Jesus liess sich nicht in diesen Zwist verwickeln. Seine Gedanken und sein Herz waren ganz woanders. Nämlich bei der tiefen Gemeinschaft mit Gott. Und bei den Menschen, für die sein Hirtenherz brannte. Lesen wir zusammen die Verse 1 und 2: «Jesus aber ging zum Ölberg. Und frühmorgens kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm, und er setzte sich und lehrte sie.» Die Nacht verbrachte Jesus offenbar betend an seinem Lieblingsort: einem Hügel nahe Jerusalem, wo er ungestört Gemeinschaft mit Gott haben konnte. Dort hörte er Gottes Stimme, liess sich sagen, was er unter den Menschen tun und reden sollte. Und bekam neue Kraft durch die unmittelbare Gegenwart seines himmlischen Vaters. So gestärkt, konnte er sein Tagewerk gut beginnen. Und es begann diesmal früh: Im Tempel wartete schon eine Menschenmenge auf ihn. Das waren Leute vom Volk. Diese hatten sich die Mühe gemacht, aufzustehen, als andere noch ihren Rausch vom ausgelassen-fröhlichen Laubhüttenfest ausschliefen. Den Weg durch die nächtliche Kälte auf sich zu nehmen, um zum Gotteshaus zu gelangen. Was trieb sie dazu? ((fragen)) Neugier auf Jesus, der mit Kraft und Lebendigkeit lehrte, nicht wie die traditionellen geistlichen Leiter. Dessen Worte Hand und Fuss hatten, weil Jesus lebte, was er predigte. Und: geistlicher Durst. Diese Leute wollten vom Lebenswasser trinken, das Jesus uns gibt. Von seiner Liebe, von seinem rettenden Wort. Darum waren sie hier. Um sein Angebot, seine Einladung vom Vortag anzunehmen.

Jesus enttäuschte ihre Erwartungen nicht. Er predigte, legte die Schrift aus, erzählte von Gottes Liebe, von seinem Plan, von sich selbst und seinem Weg. Matthäus 4,23 sagt: «Und Jesus zog umher in ganz Galiläa, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen im Volk.» Heilungen sind etwas Gutes, ja oft Notwendiges. Jesus will uns heilen, uns unsere Wünsche erfüllen, uns glücklich machen, schon hier auf Erden. Aber den Fokus legte Jesus immer auf das Weitergeben von Gottes Wort. Heilungen machen uns körperlich gesund. Aber Gottes Wort macht uns geistlich gesund. Nur Jesu lebendige Lehre zeigt uns den Weg zur Errettung und damit zum ewigen Leben. Jesus predigte das Evangelium von dem Reich. Er wollte und will möglichst viele Menschen zu sich bringen, unter seine Liebesherrschaft, damit er sie bei seinem Wiederkommen in das Reich Gottes mitnehmen kann.

Doch auf einmal wurde diese wunderschöne, geistliche Stimmung im Tempel gestört. Lesen wir gemeinsam die Verse 3 und 4: «Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden.» Da waren sie, die geistlichen Leiter. Wo waren sie bis dahin geblieben? Sie hatten Jesu Worten nicht zugehört. Weil ihr Interesse ganz woanders lag. Die geistlichen Leiter anerkannten nur sich selbst als geistliche Autorität. Und als strenge, konsequente Hüter und Vertreter von Gottes Gesetz. Gegen ihre Macht kamen keine Menschen an. Und Jesus? Der war für sie ein unautorisierter Wanderprediger. Ein Konkurrent, den sie am liebsten ausschalten wollten. Und nun sahen sie eine Gelegenheit dazu. Sie hatten eine Frau – wohl noch nicht mal zufällig – bei einer Sünde ertappt. Nämlich beim Ehebruch. Eine beschämende Situation für die Frau. Aber was sie nun erlebte, war noch ungleich beschämender. Sie wurde im Tempel – im heiligen Gotteshaus, wohlverstanden! – vor allen Leuten blossgestellt. Öffentlich angeprangert. Sie fügte sich in die Sache, während der Mann, mit der sie die Ehe gebrochen hatte, irgendwohin davongerannt war. Ihr Urteil war besiegelt, sie hatte keine Chance. Keine Chance gegen die Übermacht der geistlichen Leiter, die hier mit ihr eine Gerichtsszene inszenierten. Und keine Chance gegen das Gesetz des Mose, das für sie die Todesstrafe bestimmt hatte. 3. Mose 20,10 sagt klar: «Wenn jemand die Ehe bricht mit der Frau seines Nächsten, so sollen beide des Todes sterben, Ehebrecher und Ehebrecherin, weil er mit der Frau seines Nächsten die Ehe gebrochen hat.»

Genau dieses Gebot griffen die Pharisäer und Schriftgelehrten auf. Sie dachten keine Sekunde daran, wie es der Frau ging: an deren Gewissensbisse, deren riesige Angst, deren Hoffnungslosigkeit. Sie scheuten sich auch nicht davor, Gottes Gesetz als Mittel zum Verurteilen, ja Töten eines Mitmenschen zu missbrauchen. Fragten nicht danach, warum es dieses Gesetz gab. Sie lebten nur für die Erfüllung des Gesetzes nach dem Buchstaben. Anstatt dass sie sich gefragt hätten, was dahintersteckt. Gott gab und gibt uns seine Gebote aus seiner Liebe. Sie dienen dazu, zu wissen, was Gott will. Uns zu schützen vor der Sünde. Uns eine Lebensorientierung zu geben. Und um ihn und sein Herz noch besser kennenzulernen.

Nicht nur diese Ignoranz gegenüber Gottes Wort betrieben die Pharisäer und Schriftgelehrten. Schlimmer noch: Sie benutzten sowohl die Frau als auch das Gotteswort als Köder gegen Jesus. Lesen wir zusammen die Verse 5 und 6: «Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.» Diese geistlichen Leiter wollten Jesus eine Falle stellen, damit sie ihn endlich verurteilen und beseitigen konnten. Und nun hatten sie, wie sie dachten, die perfekte Methode dafür gefunden. Wie auch immer Jesus antwortete, er konnte nur eine falsche Antwort geben. Eine, die machte, dass er sich selber ans Messer lieferte. Sagte Jesus, die Frau sei nicht schuldig, so verstiess er gegen das Gesetz des Mose. Sagte er aber, sie sei schuldig, so gab er das Okay zur Steinigung der Frau. Damit aber würde er das Gesetz der römischen Besatzung brechen, das besagte, dass die Juden selber die Todesstrafe nicht vollstrecken durften. Und zudem zuwiderhandelte Jesus dann seinen eigenen Grundsätzen, aus seiner Liebe Leben zu geben und Leben zu erhalten… Die geistlichen Leiter begaben sich innerlich in eine Lauerstellung. Sie erwarteten von Jesus sofort eine Antwort. «Na, Jesus, was sagst du jetzt? Komm schon, spanne uns nicht auf die Folter! Na?» Keine Reaktion. Stattdessen nahm sich Jesus aus der ganzen Szenerie heraus. Er bückte sich auf seinem Sitzplatz und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Was er schrieb, weiss man nicht; darum ranken sich viele Spekulationen. Im Grunde ist das für uns auch nicht wichtig. Bedeutsam ist aber die Wirkung, die das auf die Pharisäer und Schriftgelehrten hatte. Für sie war das eine Frechheit: Er hatte ihnen doch zu antworten! Warum tat er denn, als ob ihn die Sache nichts anginge? Jesus wollte aber sehr wohl antworten. Aber zu seiner Zeit, zu Gottes Zeit. Und diese war sehr kurz darauf gegeben. Jesus wollte die Frau, die da am Zittern und Bangen war, nicht länger in ihrer Angst und Ungewissheit lassen. In das, was er nun sagte, legte er seine gesamte göttliche Liebe, Weisheit, Gnade und Gerechtigkeit…

Teil 2: Jesu Gnade und Gerechtigkeit (Verse 7-11)

Lesen wir zusammen die Verse 7 und 8: «Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.» Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Ich glaube, Jesus zeigte nirgends so klar, dass bei ihm Gerechtigkeit und Gnade untrennbar zusammengehören, wie durch diese Worte. Ausser am Kreuz, wo er sich für uns Sünder hingab und den Preis für die Sünde, den wir eigentlich bezahlen müssten, bezahlte. Und darum ist keine Sünde auf die leichte Schulter zu nehmen, denn sie hat Jesus derart viel gekostet. Am Kreuz erlitt Jesus das, was die Frau im Tempel wegen ihres Ehebruches eigentlich auch hätte erleiden müssen. Die war schuldig. Das Gesetz sagte, die Frau müsse gesteinigt werden. Jesus willigte da ein. Denn er ist nicht gekommen, um das Gesetz aufzulösen, sondern um es zu erfüllen. Nämlich um es mit Sinn, mit Liebe und mit Leben zu füllen. Und mit seiner Gnade. Er wollte diese schuldige Frau retten und am Leben lassen. Das schaffte er mit seinen weisen Worten. Denn so durften die Pharisäer und Schriftgelehrten die Frau zwar steinigen, schafften das aber nicht. Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Diese Worte gingen direkt ins Herz von jedem Einzelnen dieser geistlichen Würdeträger. Stellten sie vor Gott, so wie sie waren, mit allen ihren Sünden. Eine offensichtliche Sünderin konnten sie zwar verurteilen und ihre Sünde vor den Menschen vertuschen und verbergen. Aber vor den Augen des HERRN ging das nicht mehr. Jesus nahm sich wiederum heraus aus der Sache und gab den geistlichen Leitern Zeit. Diese verbrachten sie mit Nachdenken. Vielleicht dachten sie zuerst: «Das ist unfair! Hätte Jesus nur nicht gesagt: ,den ersten Stein’. Ich kann mich da nun nicht mehr exponieren und einen Stein werfen. Die Leute würden mit dem Finger auf mich zeigen: ‘Ha, der sagt von sich, er habe keine Sünde!’ Zusammen hätten wir die Frau töten können, wie es sich gehört.» Und dann: «Auch ich bin ein sündiger Mensch, selbst ich in meinem hohen geistlichen Amt.» Da war die schöne verheiratete Dame, die einer von ihnen begehrte. Da war der Streit, in welchem ein anderer seinen Sohn zu heftig geschlagen hatte. Da war ein schmutziger Nachttraum. Da war der Sabbat, an dem einer von ihnen ein Bündel Feuerholz ins Haus getragen hatte. Und so weiter. Niemand ist ohne Sünde. Diese Männer in ihren würdigen Kleidern, die waren vor Gott nackt und bloss. Der sah in die verborgensten Winkel ihres Herzens. Das muss ihnen in dem Augenblick so richtig bewusst geworden sein. Und so liessen sie die Steine, die sie bereits gegen die Frau aufgehoben hatten, fallen. Die Faust löste sich, und für einen Moment wurde ihr hartes Herz weicher und ihre geistlichen Augen öffneten sich einen Spalt. Jesus hatte sie zur Busse aufgerufen. Und sie erkannten sich als Sünder. Selbsterkenntnis ist der beste Weg zur Besserung, sagt man. Doch leider währte diese Erkenntnis nur kurz. Wie sehr muss sich Jesus gewünscht haben, dass sich die geistlichen Leiter zu ihm bekehrt hätten!

Die Szenerie veränderte sich auf Jesu Worte hin. Lesen wir zusammen den Vers 9: «Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.» Die Pharisäer und Schriftgelehrten konnten nichts ausrichten gegen Jesu Weisheit, egal wie ausgeklügelt ihr Plan gewesen war. Sie gingen weg. Die Ältesten, die wohl schon am meisten über sich selbst reflektiert hatten, gingen zuerst. Am Schluss waren sie alle fort. Die Frau blieb alleine in der Mitte stehen. Jesus schuf sie absichtlich, diese Eins-zu-eins-Situation. Er liebt es, sich mit einzelnen Menschen zu befassen und ihnen seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Das konnte er nun mit der Frau auch tun. Lesen wir zusammen den Vers 10: «Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?» Auch diese Anrede zeugt von Jesu grosser Weisheit. Er wusste genau, wie die Frau ansprechen. Diese muss extrem verängstigt gewesen sein. Zwar waren die Pharisäer und Schriftgelehrten weg und stellten keine Gefahr mehr für sie dar. Aber nun stand sie vor Jesus, Gottes Sohn, dem wahren Richter aller Welt! Sie sah Gott gewissermassen ins Angesicht. Die Gegenwart Jesu muss eine unglaubliche Kraft gehabt haben. Bange wartete die Frau darauf, was Jesus sagen würde. Es gab in dieser Situation fast keine Worte, die gepasst hätten. Doch Jesus fand passende Worte. Dosierte Worte, welche die sündige Tat der Frau nicht ansprachen. Milde statt verurteilender Worte. Jesus tadelte die Frau nicht und fragte auch nicht nach dem, was sie getan hatte. Er wusste es ja. In seinem Herzen hatte er ihr längst vergeben. Sein Herz brannte vor Liebe zu dieser armen Sünderin…

Auch ich habe Gottes Vergebungsgnade schon einige Male erlebt. Sie ist unglaublich, wunderbar, rettend und notwendig. Beispielsweise lädt mich Gott in seine wunderbare Gegenwart ein, obwohl ich dessen nicht würdig wäre. Es gab ein frühmorgendliches Gebet, welches ich zeitlebens nie mehr vergessen werde. Das war an einer Bibelkonferenz vor bald drei Jahren. Das Datum weiss ich noch: der 27. Dezember 2018. Und auch noch, dass mein Gebet mit den Worten begann: «HERR, ich weiss, du bist da.» Und dann geschah etwas ganz Wunderschönes: Gott war mir so nahe, dass ich, hätte er eine Gestalt gehabt, seinen Hauch an mir gespürt hätte. Ein himmlisches Gefühl erfüllte mein Herz und meine Seele. Ich betete und vergass die Zeit. Es war pure Gemeinschaft mit Gott, wie man mit Menschen Gemeinschaft hat. Nur viel schöner. Als die Gebetszeit um war, hätte ich mich am liebsten nicht mehr aus dieser Gemeinschaft begeben. Ich konnte nicht genug bekommen von dieser Gegenwart Gottes. Sie war schöner als das Programm der Konferenz und machte besser satt als das auf mich wartende Hotelfrühstück. Doch ich riss mich los und machte das Tagesprogramm von Beginn an mit. Seither weiss ich, was tiefes Gebet und lebendiges Zusammensein mit Gott heisst. Ich, die unverdiente Sünderin, die es noch nicht mal geschafft hat, Jesus das Ruder meines Lebens in die Hände zu geben.

Auch die Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war, erfuhr die herrliche, unverdiente Gnade des HERRN. Lesen wir gemeinsam den Vers 11: «Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.» Jesus verdammt uns nicht. Es ist leicht, dass wir Menschen verurteilen und den Splitter in ihrem Auge sehen, aber den Balken in unserem eigenen Auge nicht wahrnehmen (oder nicht wahrnehmen wollen). Doch Jesus sieht zwar Splitter und Balken in unseren Augen – er, der ohne jede Sünde ist –, aber er reagiert nicht mit Verurteilung darauf. Denn sein Herz ist so rein und voller Liebe, dass er das gar nicht über sich bringen würde. Er kennt zwar den heiligen Zorn und liess den auch schon mal die geistlichen Leiter spüren, wenn sie mit ihm stritten. Aber er ist auch sanftmütig. Wut wegen persönlicher Verletzung kennt er nicht. Daher konnte er auch am Kreuz, nach all der körperlichen und seelischen Qual, die man ihm angetan hatte, noch sagen: «Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!» Ja, Jesus hatte dieser Frau von Anfang an vergeben. Aber es war nicht eine Vergebung, wie wir Menschen sie kennen, wenn wir sagen: «Schwamm drüber! Ist schon gut. Ist ja schon vergessen.» Sondern seine Vergebung geht noch weiter. Sie ist untrennbar verbunden mit seinem Errettungswillen. Wem vergeben ist, dem gibt Jesus diese Aufforderung: «Sündige hinfort nicht mehr!» Also eine neue Orientierung fürs Leben. Befreit aus den Sünden, können wir ein Leben führen, das Gott gefällt. Ihm dienen und weitererzählen, was der HERR Grosses für uns getan hat. In unserem neuen Leben als freie Kinder Gottes gibt es aber leider auch viele Versuchungen. Der Satan will nichts lieber, als dass wir wieder in unser altes sündiges Leben zurückkehren. Darum sagt uns Jesus: «Sündige hinfort nicht mehr.» Niemand kann ohne Sünde leben. Aber Jesus meint damit: «Lass dich vom Heiligen Geist erfüllen. Vertraue mir dein Leben an, denn ich herrsche gerecht und will das Beste für dich.» Und mit dem Heiligen Geist erfüllt, werden wir gar nicht mehr den Wunsch haben, eine Sünde zu begehen. Wir können dann gar nicht mehr in unser altes Leben zurück. Wenn wir beim HERRN die Fülle haben, dann kommen uns weltliche Dinge dagegen fade vor. Nicht umsonst sagt Jesus an einer anderen Stelle der Bibel, dass das Himmelreich wie eine kostbare Perle ist. Einer fand sie und verkaufte alles, was er hatte, um sich die Perle zu erwerben. Jesus will diese Perle für uns sein. Im HERRN haben wir etwas ungleich Kostbareres als alles andere auf der Welt. Wahre Liebe, göttliche Gnade, Jesu wunderschöne Aufmerksamkeit. Ungeteilte Aufmerksamkeit. Und etwas, das ewig bleibt. Himmel und Erde vergehen, aber des HERRN Wort bleibt bis in Ewigkeit.

Sündige hinfort nicht mehr. Jesu Vergebung ist mit Herausforderungen verbunden. Mit der Aufforderung, geistlich zu wachsen durch die Situationen, die uns im Leben begegnen. Jesus will, dass wir etwas draus machen aus seiner Vergebung. Das beginnt mit der Busse, zu der er uns auffordert. Er will, dass sein Verzeihen der Startschuss ist in ein neues Leben unter seiner Liebesherrschaft. Jesus ist für uns am Kreuz gestorben. Und hat die Macht des Todes überwunden, da er am dritten Tag danach auferstanden ist. Er lebt und er will mit uns und in unserem Herzen leben. Seine Vergebung gilt für alle. Aber wir müssen sie sozusagen noch aktivieren für uns persönlich, indem wir Jesu Tat und Jesu Gnade für uns annehmen. Auch dazu hilft uns der HERR. Er gibt beides, das Wollen und das Vollbringen. Und er wird jede und jeden von uns, so wir bei ihm bleiben, zu geistlich reifen Gläubigen erziehen. Zu solchen, die ihm durch das Leben reiche Frucht bringen. Und die schliesslich geeignet sein werden, mit ihm ins Himmelreich zu gehen an dem Tag, an dem Jesus wiederkommt.

Zum Schluss:

Lesen wir nochmals den Leitvers, Vers 7: «Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.»

In diesem Text scheinen zwei ganz gegensätzliche Dinge aufeinanderzuprallen. Einerseits das Gesetz, vertreten von den gestrengen geistlichen Leitern. Und andererseits Jesu Liebe und Gnade. In Wirklichkeit aber sind die beiden kein Gegensatz. Jesus ist gekommen, um das Gesetz zu erfüllen. Aber er erfüllt es richtig, weil er Gottes Herz und Gottes Willen kennt. Er sieht, was hinter den Geboten steht. Viel mehr kontrastiert seine Sicht auf die sündigen Menschen mit der Sicht der Pharisäer und Schriftgelehrten. Die geistlichen Leiter verurteilten gerne andere und versteckten ihre eigenen Sünden. Bis Jesus sie direkt vor Gott stellte. Jesus dagegen verurteilt uns nicht. Stattdessen vergibt er uns. Und will, dass wir – wie jene Frau im Tempel – seine Gnade fortan in unserem Herzen mittragen. Dann wollen wir nicht mehr sündigen, weil wir wissen, dass der Preis für die Sünde so hoch ist. Jesus hat sich dafür am Kreuz hingegeben. Ja, er hat unsere Sünden dort angenagelt. Wir müssen deren Last nicht mehr tragen. Und dürfen als freie Königskinder unter seiner liebevollen Herrschaft leben.

Ich staune über Jesu Weisheit. Diese speist sich aus seiner absoluten Beziehung mit Gott. Und aus seiner wunderbaren Liebe. Er ist für mich die Fleischwerdung von Gottes Liebe. Er sagt einen Satz und die geistlichen Leiter, die sich unbesiegbar geglaubt haben, müssen weichen, werden vollkommen machtlos und demütig. «Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.» Hier sind Gerechtigkeit und Gnade miteinander vereint, ja eins geworden. Gerechtigkeit, weil die Sünde die Strafe verdient. Und Gnade, weil Jesus diese Strafe für uns auf sich genommen hat, um sie uns erlassen zu können. Die Sünde trennt uns von Gott. Aber Jesus macht sie weg, sodass durch ihn der Weg zu Gott frei ist. Ergreifen wir heute diese Gnade! Möge der HERR uns segnen, dass wir sein Herz immer tiefer erkennen. Und immer grössere Freude und Rührung bekommen wegen dem, was Jesus für uns getan hat. Bis wir es von ganzem Herzen annehmen. Seine Güte leitet uns zur Busse. Bleiben wir in seiner Liebe. Jetzt, nachher – und bis in Ewigkeit.